Ehrlich wiegt am längsten

tomaten
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Die Zeiten sind schlecht. Das merkt inzwischen auch der Gemüsehändler an der Ecke. Da gibt es doch tatsächlich Kunden, die Tomaten ohne Strauch kaufen! Dabei ist das Grünzeug so dekorativ und sieht unwahrscheinlich gesund aus. Und vor allem: der Händler hat es bei seinem Großhändler auch bezahlt, denn das Kaufgewicht setzt sich aus roter Tomate und grünem Strauch zusammen. Weist der Gemüsehändler seine Kunden also zurecht darauf hin, dass bei ihm Strauchtomaten nur mit Strauch verkauft werden?

Ich finde diese durchaus sehr ehrliche und ungewöhnliche Art der Kundenansprache schwierig. Auf der einen Seite habe ich Verständnis für den Händler. Die Gewinnspanne bei Lebensmittel ist extrem gering. Jedes Gramm, das zwar im Ankauf bezahlt werden muss, im Verkauf aber nichts einbringt, kann sich zu schmerzhaften Beträgen summieren. Trotzdem scheint mir dieser Hinweis des Händlers (der hier nur als Beispiel für unangebrachte Ehrlichkeit im Kundenkontakt dient) aus zwei Gründen problematisch:

  1. Der Kunde wird unter Generalverdacht gestellt. Jeder, der Tomaten kauft, ist grundsätzlich verdächtig, dem Händler schaden zu wollen. Und je mehr der Gemüsemann darauf achtet, ob auch wirklich jeder Kunde sich seinen Wünschen entsprechend verhält, desto mehr wird er von seinen Kunden enttäuscht werden. Den Ohne-Strauch-Tomaten-Einkäufer an der Kasse trotzdem freundlich zu behandeln, dürfte immer schwerer fallen. Ein glattes Eigentor des Händlers.
  2. Alle Kunden, die bisher noch nie darüber nachgedacht haben, dass das grüne Zeugs ja auch etwas wiegt und dementsprechend bezahlt werden muss, aber zu nichts taugt, außer extrem nach Tomate zu riechen, wurden durch dieses Schild mit der Nase auf eine ganz neue Sparmöglichkeit gestoßen. Ein weiteres Händler-Eigentor.

Ehrlichkeit ist eine der fundamentalen Säulen in der Kundenbindung – davon bin ich fest überzeugt. Allerdings darf man Ehrlichkeit nicht mit Naivität verwechseln, wie in diesem Fall.