Vor mehr als zwei Wochen war ich im Frankfurter Dialogmuseum auf einer Veranstaltung mit dem Titel „Kundenservice 2.0 – Die Wirtschaft (t)wittert Morgenluft“. Der schmissige Titel und die eingeladenen Diskussionsteilnehmer versprachen einen interessanten Abend. Mich hat er noch etwas länger beschäftigt – und auch noch ein paar andere Dinge – deshalb erst heute die späte, dafür umso ausführlichere, Zusamenfassung inkl. eigener Meinung und Fazit am Schluss.
Zuvor der Hinweis: eine gute Zusammenfassung findet man bereits auf den Seiten des Social Media Strategy Lab der veranstaltenden Agentur fischerAppelt. Ich werde deshalb hier nicht noch einmal alles wiederholen – und einiges wiederum doch, um darauf genauer eingehen zu können. Wer wissen möchte, was über diesen Abend getwittert wurde, findet alle Tweets unter dem Hashtag #kundenzweinull.
Michael Frenzel – 1&1
Michael Frenzel, Leiter Kommunikation bei 1&1, durfte als erster sein mitgebrachtes Beispiel für Kundenservice 2.0 präsentieren: Die Kampagne rund um Marcel D’Avis, Leiter Kundenzufriedenheit bei 1&1 und vor einigen Monaten ins Rampenlicht der kritischen Öffentlichkeit gestellt. Es gibt ihn wirklich (alles andere wäre wohl eine (negative) Sensation gewesen), er bekommt Autogrammwünsche und er wird im privaten Türkeiurlaub von deutschen Miturlaubern erkannt. Soweit, so anekdotisch. Spannender wurde es, als es um die Entstehungsgeschichte der aktuellen Serviceoffensive ging.
Seit zwei Jahren arbeitet man bei 1&1 an dieser kundenorientierten Verbesserung, hat sich u.a. Dell zum Vorbild genommen. Waren die Mitarbeiter zu Beginn der Offensive noch Blitzableiter für die aufgestaute Kundenunzufriedenheit, sollen die Reaktionen inzwischen sehr viel besser ausfallen. Interessant auch der Bericht über den anfänglichen Wunsch, als Teil der Kampagne auch in die einschlägigen Foren zu gehen und mit offenem Visier das Gespräch denjenigen anzubieten, die sich in den Foren besonders negativ über 1&1 äußern. Obwohl man mit Klarnamen agierte, wurde man von z.B. von CHIP des Forums verwiesen – der Eindruck von Werbung wäre zu stark, so die Begründung. Persönlich kann ich diese Begründung nicht beurteilen, kann aber sagen, dass ich die Idee insgesamt zweifelhaft finde: in Hardcore-User-Foren die bekehren wollen, die ohnehin seit Jahren über 1&1 meckern, halte ich für vergebene Liebesmüh und eher kontraproduktiv. Mit was will man diese Kunden besänftigen? Hier gießt man nur Öl ins Feuer und ich wundere mich nicht darüber, dass dieses Experiment zumindest in Teilen in die Hose ging. Insgesamt muss ich auch sagen, dass ich die Marcel-D’Avis-Kampagne nicht besonders gelungen finde und sie für mich – wenn überhaupt – nur einen Anstrich von Kundenservice 2.0 hat. Dazu aber demnächst nochmal ein ausführlicherer Artikel.
Andreas Bock, Deutsche Telekom
Der Head of Social Media der Deutschen Telekom (@andreashbock) sprach über den Twitter-Kundenservicekanal @telekom_hilft und meint, die aktuellen Entwicklungen im Internet in Richtung Kundenservice seien nicht komplett neu, schließlich gebe es schon seit den 90er Jahren Serviceforen, auch von der Telekom (bissige Anmerkung: umso unschöner, dass sich beim Service in der Branche insgesamt noch nicht wirklich viel getan hat in den letzten eineinhalb Jahrzehnten…).
Zum Twitter-Projekt seines Arbeitgebers berichtete Bock, dass die Vorstellung der Mitarbeiter auf dem Twitterprofil mit Vornamen und Foto lang durchdacht wurde, schließlich wollte man niemanden zum Stalking-Opfer machen – geholfen hat der Enthusiamus der Mitarbeiter, die sehr hinter diesem neuen Projekt stehen. Er empfindet diese Art der Vorstellung als großen Schritt in Richtung mehr Authentizität, was ich in meinem ersten Artikel der Serie über Twitter im Customer Care auch schon lobend erwähnt hatte. Die Anfragen, die den Account direkt erreichen, bewegen sich zwischen 50 und 100 am Tag, zur Zeit der Auslieferung des neuen iPhones waren es natürlich deutlich mehr. Es geht der Telekom aber um mehr, als nur stumm wartend auf Anfragen zu reagieren, wie es typisch für ein Call-Center ist. Mittels Monitoringtools wird das Twitter-Universum beobachtet und man geht auf User zu, die über die Telekom twittern, und bietet Hilfe an. Das überrascht die Kunden zumeist sehr positiv – und ist sicherlich einer der großen Vorteile von Social Media: man kann den Zeitpunkt, auf seinen Kunden zuzugehen, sehr viel besser abpassen und stört nicht mit Telefonanrufen, wenn der Kunde am allerwenigsten damit anfangen kann. Find ich sehr gut umgesetzt!
Marco Dettweiler, Journalist
Marco Dettweiler (@dettweiler), dessen FAZ-Blog „Unverbraucht“ mit Themen aus dem Alltag enttäuschter Kunden mir bislang unverständlicherweise unbekannt war und hiermit empfohlen wird, war der Kritiker in der Runde. Im sind die Vorteile des Kundenservices 2.0 bisher zu überbewertet. Wenn ich ihn richtig verstanden habe, sollten die Unternehmen ersteinmal ihre Hausaufgaben im klassichen Kundenkontakt machen, bevor man sich auf neue Testfelder wagt. So käme das Gros der Kundenanfragen natürlich weiterhin per Telefon oder E-Mail, nur ist diese Kundenkommunikation häufig gestört, u.a. wegen fehlender Kompetenzen in Call-Centern. Auch konfrontierte er die Vertreter der DSL-Anbieter mit den wohl jedem bekannten Horror-Geschichten über wochenlange DSL-Ausfälle aufgrund von Wechseln oder Neuanschlüssen. Wenn der Kunde hier hingehalten wird, wenn ihm nicht die Wahrheit gesagt wird, sei er zurecht verärgert. Daran müsse gearbeitet werden. Die Reaktionen, besonders von Michael Frenzel, fand ich sehr schwach – es gebe nunmal technische Probleme bei Wechslern, die aber vor allem den Firmen zuzuschreiben seien, die den Anschluss zuvor geschaltet hatten. Da könne man den Call-Center-Agents keinen Vorwurf machen, die würden häufig auch gern bessere Nachrichten übermitteln. Das ist für mich die alte Kommunikations-Leier der Offline-Generation: schuld sind die anderen, man selbst tut schon alles menschenmögliche. So what? Aber genau dieses Verhalten wird in Zukunft nicht mehr funktionieren, wer auf Augenhöhe kommunizieren möchte, muss seinen Kunden diese Probleme mitteilen – VOR dem Vertragsabschluss.
Kai Hattendorf, Messe Frankfurt
Der Leiter Kommunikation & Marketing der Messe Frankfurt (@kaihattendorf) berichtete kurz von seiner Twitter-Strategie: ein offizieller Messe-Account, der wie ein RSS-Feed automatisch twittert, und sein persönlicher Account, den er bewusst als Firmen-Account ausgibt, aber auch mit privaten Informationen füttert: „Da kommen dann auch mal ein paar Werder-Bremen-Tweets – zur Freude und zum Leidwesen meiner Follower“. Er weiß, dass die Lernkurve für viele Manager anhält, zu verstehen, dass die eigenen Mitarbeiter Markenbotschafter sind und als solche positiv eingesetzt werden können. So fand man bei einer internen Untersuchung heraus, dass bereits ein Viertel der Beschäftigten der Messe Frankfurt bei XING Networking betreibt. Dieses Potential versucht man noch stärker zu nutzen. Zum Thema Kundenservice erzählte Hattendorf, dass besonders Messen wunderbar geeignet sind, die Fähigkeiten des Web 2.0 auszureizen, z.B. durch Echtzeitinfos, Empfehlungen und Tipps zur staufreien An- und Abfahrt.
Einwand aus dem Publikum – wie geht man mit Kundenfeedback um?
Dieser Einwand von Tapio Liller, u.a. Blogger auf opensourcepr.de, brachte für mich den Kern von Kundenservice mittels Social Media auf den Punkt: Was heißt „Kommunikation auf Augenhöhe“ in der Realität der Unternehmen? Sieht man das Web 2.0 tatsächlich als Herausforderung, althergebrachte Kommunikationsmuster (Kommunikationshoheit bewahren, Einbahnstraßenkommunikation, etc.) zu überdenken und in Richtung wahrhaftiger Authentizität zu verändern? Natürlich wurde diese Frage von allen anwesenden Unternehmensvertretern bejaht. Ich bin mir da noch nicht ganz sicher, ob Social Media nur als „neuer“ Kanal in der Kommunikation verstanden wird oder tatsächlich als ein „neuartiger“ Kanal, der nach nicht nur neuen, sondern neuartigen Instrumenten und Unternehmenskulturen verlangt.
Mein Fazit
Kundenservice 2.0 ist erst im Entstehen. Und er entsteht häufig leider nicht deshalb, weil Unternehmen sich von innen heraus ändern und ihre Kundenzuneigung entdecken. Wäre das so, hätte es eine Kundenservicerevolution auch schon weit vor Social Media geben können/müssen. Nein, Kundenservice 2.0 entsteht in vielen Fällen deshalb, weil Firmen am neuen, mächtigen, vernetzten und multiplikatorisch wie noch nie agierenden Kunden nicht mehr vorbeikommen. Auf der einen Seite toll, dass das Web 2.0 die Firmen schon so sehr zum Umdenken bewegt hat. Auf der anderen Seite spricht es aber nicht für die Motive der Firmen, die den Anschein machen, dass Profit immer noch vor Kundenzufriedenheit geht.
Kundenservice 2.0 darf keine Bezeichnung für einen „neuen“ Kundenservice sein, der sich der Möglichkeiten des Web 2.0 bedient. Kundenservice 2.0 muss die Bezeichnung für einen „neuartigen“ Kundenservice sein, der seinen Namen zurecht trägt und nicht eigentlich „Firmenabschottungsservice“ heißen müsste. Diesen „neuartigen“ Kundenservice entstehen zu lassen bedeutet eine Menge Arbeit. Viele Manager sind vielleicht sogar noch allzu sehr in alten Traditionen verhaftet und werden diese firmeninternen Revolutionen gar nicht mehr vorantreiben können oder wollen. Aber die Chance und die Notwendigkeit ist da, Kundenservice in ein paar Jahren wieder positiv zu behaften. Es bleibt spannend, welche Unternehmen sich wirklich darum bemühen.